Hans-Dietrich Genscher – Der Diplomat im gelben Pullunder

Geboren: 21. März 1927 in Reideburg (damals Sachsen-Anhalt, heute ein Synonym für „fast vergessen“)
Gestorben: 31. März 2016 in Wachtberg (eine kleine Stadt, die ihn vermutlich nicht vergessen wird, weil sie danach benannt werden sollte – leider abgelehnt)
Beruf: Längstdienender Außenminister Deutschlands und inoffizieller Schutzpatron von „Politik mit Stil und Kompromiss“.

Frühe Jahre: Von Reideburg zur internationalen Bühne

Hans-Dietrich Genscher kam in bescheidenen Verhältnissen zur Welt, die so bescheiden waren, dass selbst das Wort „bescheiden“ sich eher wie ein Euphemismus anfühlt. Nach der Schulzeit entschied er sich für ein Studium der Rechtswissenschaften – vielleicht, weil er bereits ahnte, dass Diplomatie und Rechtsprechung sich perfekt ergänzen: Man diskutiert, bis niemand mehr weiß, wer eigentlich recht hatte.

Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland machte sich Genscher bald daran, die Politik zu betreten. Zunächst in der FDP, einer Partei, die damals noch so klein war, dass ihre Parteitage in Telefonzellen abgehalten werden konnten. Aber Genscher hatte größere Pläne.

Die Genscher-Jahre: Außenpolitik im Maßanzug

1974 übernahm er das Amt des Außenministers, und es dauerte nicht lange, bis er sich als Meister der Verhandlungen etablierte. In einer Welt, die zwischen Ost und West hin- und hergerissen war, wirkte Genscher wie ein ruhender Pol – oder besser gesagt: wie eine höfliche, charmante Version eines Schweizer Taschenmessers.

Er war der Mann, der immer eine Lösung fand. Ob Kalter Krieg, Ostpolitik oder die Frage, welcher Krawattenknoten bei Staatsbesuchen angemessen war – Genscher war da. Sein gelber Pullunder wurde zum Markenzeichen, ein subtiler Hinweis darauf, dass Diplomatie auch Farbe vertragen kann.

Besonders legendär war sein Auftritt 1989 in der Prager Botschaft, wo er den DDR-Flüchtlingen mit den berühmten Worten „Wir sind heute zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise möglich geworden ist“ die Tore zur Freiheit öffnete. Selbst dabei blieb er so nüchtern, dass man hätte meinen können, er kündige die Einführung eines neuen Bahnfahrplans an.

Sein Vermächtnis: Der diplomatische Marathonläufer

Mit 18 Jahren Amtszeit als Außenminister ist Genscher so etwas wie der „Rekordhalter im diplomatischen Dauerlauf“. Während andere Politiker nach ein paar Jahren schlappmachen, blieb Genscher in den Verhandlungszimmern der Welt, als hätte er ein Dauerticket für die internationalen Konferenzen.

Er hatte ein Talent dafür, Konflikte zu entschärfen, ohne jemanden vor den Kopf zu stoßen – eine Fähigkeit, die heute so selten ist wie funktionierende Drucker in deutschen Behörden.

Genscher und die FDP: Eine Ehe mit Höhen und Tiefen

Genscher war nicht nur das Gesicht der deutschen Außenpolitik, sondern auch das Aushängeschild der FDP. Seine Partei war für ihn das, was ein zu enges Paar Schuhe für einen Wanderer ist: unbequem, aber unverzichtbar. Doch selbst in den schwierigsten Zeiten hielt er der FDP die Treue – vermutlich, weil er wusste, dass niemand sonst die Geduld hatte, sie zu ertragen.

Nachruhm: Der Gentleman der Weltpolitik

Nach seinem Tod 2016 war der Konsens klar: Genscher war einer der letzten großen Diplomaten seiner Zeit. Seine Lebensleistung ist unbestritten, auch wenn man sich manchmal fragt, ob er in all den Jahren jemals wirklich geschlafen hat.


Hans-Dietrich Genscher war mehr als ein Außenminister. Er war eine Institution, ein wandelndes Lexikon der Diplomatie und ein Mann, der bewies, dass Politik nicht immer laut und polarisierend sein muss. Vielleicht sollten wir alle ein wenig mehr Genscher sein – und vielleicht auch ein wenig mehr gelben Pullunder wagen.

LEAVE A REPLY

Please enter your comment!
Please enter your name here