Kurt Georg Kiesinger – Der Charmeur der Widersprüche

Kurt Georg Kiesinger, oft liebevoll als „Silberfuchs der deutschen Politik“ bezeichnet, wurde am 6. April 1904 in Ebingen geboren, einer beschaulichen Stadt in Schwaben, die weder die Welt erobern wollte noch besonders viel von der Welt erwartete. Doch der junge Kiesinger war entschlossen, genau das Gegenteil zu tun: die Welt zu erobern – oder zumindest den Bundestag.

Frühe Jahre: Vom Gymnasium ins Dickicht der Geschichte

Der junge Kurt zeigte früh eine Affinität für Reden und Regeln. Während seine Altersgenossen noch darüber nachdachten, ob sie die Schule abbrechen sollten, um Schreiner oder Metzger zu werden, entschied sich Kurt für ein Studium der Rechtswissenschaften. „Gesetze haben wenigstens klare Grenzen,“ soll er einmal gesagt haben, ein Satz, den er später wohl gerne wieder vergessen hätte.

Seine frühen Jahre waren von einem gewissen Opportunismus geprägt, den man damals noch als „Anpassung an die Umstände“ verstand. Während der NS-Zeit arbeitete Kiesinger im Außenministerium und war, nun ja, irgendwie dabei. Später wurde dies zu einem politischen Problem, das er mit seinem Charme und einer Prise Gedächtnislücken meisterhaft wegzulächeln versuchte.

Politischer Aufstieg: Die Kunst des Mittelwegs

Nach dem Krieg begann Kiesingers Aufstieg in der CDU, jener Partei, die sich in den 50er Jahren als Hort der Stabilität, bürgerlichen Tugenden und vielleicht auch eines kleinen Schwipses Biederkeit präsentierte. Kiesinger passte perfekt in dieses Bild: gut frisiert, ein Lächeln wie aus einem Werbekatalog, und immer bereit, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden – und zu vertreten.

Als Ministerpräsident von Baden-Württemberg brachte er den politischen Pragmatismus zur Perfektion. „Kompromisse sind wie Spätzle,“ sagte er einmal. „Man kann sie mit allem kombinieren.“

Kanzlerschaft: Der Tänzer auf dem Vulkan

1966 wurde Kiesinger zum dritten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt – als erster und einziger Kanzler einer Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD. Die Zeitungen nannten ihn den „Kanzler der Aussöhnung“, Kritiker hingegen sprachen vom „Meister der Mittelmäßigkeit“.

Unter seiner Führung wurde Deutschland modernisiert – zumindest so modern, wie es ein Mann im dreiteiligen Anzug zulassen konnte. Das Kabinett diskutierte über die Einführung des Farbfernsehens, während Kiesinger gleichzeitig bemüht war, nicht allzu bunt in der Öffentlichkeit aufzutreten.

Sein Umgang mit der Studentenbewegung der 68er war, nun ja, paternalistisch. „Wenn sie alt genug sind, um zu protestieren, sind sie auch alt genug, um vernünftig zu werden,“ meinte er einmal. Die Studenten sahen das anders – und schrieben lieber „Kiesinger raus!“ auf die Wände.

Besonders unangenehm wurde es, als Beate Klarsfeld, eine französische Journalistin, ihm 1968 vor laufenden Kameras eine Ohrfeige verpasste und dabei „Nazi!“ rief. Kiesinger war weniger über die Ohrfeige als über die Kamera empört: „Wenigstens hätte sie auf die Etikette achten können!“

Das Leben danach: Der Elder Statesman

Nach seiner Kanzlerschaft zog sich Kiesinger weitgehend aus der Politik zurück und widmete sich dem Schreiben seiner Memoiren – einem Werk, das mehr geschwärzte Stellen hat als ein CIA-Bericht. Er trat nur noch gelegentlich öffentlich auf, meist bei Parteiveranstaltungen oder Empfängen, wo er seine Anekdoten mit der Eleganz eines Mannes erzählte, der wusste, dass er ein Kapitel war, das niemand zweimal lesen wollte.

Ein Erbe der Ambivalenz

Kurt Georg Kiesinger starb 1988 im Alter von 83 Jahren und hinterließ ein gemischtes Vermächtnis. Für die einen war er ein besonnener Staatsmann, der Deutschland durch eine schwierige Zeit führte. Für die anderen war er ein Symbol für eine Generation, die sich ihrer Vergangenheit nur ungern stellte.

Eines jedoch ist unbestritten: Kiesinger war ein Mann der Widersprüche – ein Kanzler, der das Mittelmaß zur Meisterschaft erhob, und ein Politiker, der wusste, dass manchmal ein Lächeln mächtiger ist als ein Standpunkt.

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