Joschka Fischer: Vom Straßenkämpfer zum Staatsmann – und zurück?
Ein Porträt über den Grünen, der die Turnschuhe salonfähig machte.
Joschka Fischer – dieser Name klingt wie eine Mischung aus bürgerlichem Sonntagsbraten und radikalem Montagsspaziergang. Geboren am 12. April 1948 im idyllischen Gerabronn, schien sein Schicksal zunächst zwischen Schrebergarten und Schützenverein zu pendeln. Doch Joschka wollte mehr vom Leben – und entschied sich gegen den Schulabschluss. „Die Welt braucht keine Zertifikate, sondern Charakter“, könnte sein jugendliches Motto gewesen sein, das er als Fotografenlehrling dann eindrucksvoll untermauerte: mit dem Abbruch seiner Ausbildung.
Revolutionärer mit Straßenkampf-Ambitionen
In den 70er-Jahren wurde Fischer zum rebellischen Maskottchen der linken Szene Frankfurts. Statt Hochglanzfotos zu entwickeln, übte er sich lieber in politischen „Schnappschüssen“ – ob in Diskussionen, Demonstrationen oder handfesten Auseinandersetzungen mit der Polizei. Man munkelt, dass er in der revolutionären Gruppe „Revolutionärer Kampf“ seine ersten rhetorischen Duelle austrug, allerdings weniger im Bundestag, sondern eher auf der Straße.
Fischer war ein Mann der Tat – und des Schlagstocks, wie Fotos aus dieser Zeit nahelegen. Als sportlicher Quereinsteiger im Boxen zeigte er, dass „Grün sein“ durchaus muskulös interpretiert werden kann. Später distanzierte er sich von dieser Ära – nicht nur rhetorisch, sondern auch optisch: Der Parka wurde gegen den Anzug getauscht, die Schlagwörter gegen die Schlagfertigkeit im politischen Diskurs.
Der Turnschuh-Minister
1985 erklomm Fischer einen weiteren Höhepunkt: Er wurde Hessens Umweltminister. Der eigentliche Skandal? Nicht etwa die Grünen in der Regierung, sondern Joschka in Turnschuhen. Der frischgebackene Minister schwor seinen Amtseid mit Adidas-Schuhwerk – ein ikonischer Moment, der konservative Gemüter ins Schwitzen brachte. Der „Turnschuh-Minister“ war geboren und zeigte der Republik, dass Politik keine strenge Kleiderordnung braucht. Oder wie Fischer selbst wohl sagen würde: „Man muss nicht im feinen Zwirn erscheinen, wenn man die Welt retten will.“
Der Diplomat wider Willen
In den späten 90ern wurde aus dem rebellischen Fischer der Staatsmann Fischer. Als Außenminister und Vizekanzler unter Gerhard Schröder (1998–2005) machte er aus der deutschen Außenpolitik ein Bühnenstück, in dem er die Hauptrolle spielte: Der kosovarische Konflikt, der Afghanistan-Einsatz, der Irakkrieg – überall war Fischer präsent. Ob als Kritiker oder Unterstützer – seine Meinung zählte.
Besonders denkwürdig: seine rhetorische Ohrfeige an die USA während der UN-Debatte über den Irakkrieg 2003. „Excuse me, I am not convinced,“ sagte Fischer, als würde er mit einem überteuerten Kellner in Manhattan diskutieren. Das machte ihn zum Helden der Friedensbewegung – und zum Feindbild für Falken auf beiden Seiten des Atlantiks.
Vom Diplomaten zum Lobbyisten
Nach 2005 verschwand Fischer aus der aktiven Politik. „Ich habe alles erreicht – außer Ruhe“, schien er sich zu denken, und wurde Berater, Autor und gelegentlicher Gast in Talkshows. Heute sitzt er nicht mehr auf Demonstrationspflastern, sondern in Think-Tanks und Vorstandsrunden. Die Turnschuhe? Gegen Lederschuhe getauscht. Der jugendliche Rebell? Heute ein elder statesman mit Hang zu Zynismus und langen Monologen.
Das Vermächtnis
Fischer bleibt eine Ikone. Er hat nicht nur die Grünen geformt, sondern auch bewiesen, dass man sich vom jugendlichen Aktivisten zum etablierten Politiker wandeln kann, ohne den rebellischen Geist ganz zu verlieren. Vielleicht liegt seine größte Leistung jedoch darin, Deutschland zu zeigen, dass man auch ohne Schulabschluss ganz oben mitspielen kann – solange man schlagfertig genug ist.
Joschka Fischer ist mehr als nur ein Politiker – er ist eine Marke. Ein Mann, der Turnschuhe und Politik vereinte, Straßenkämpfe und Diplomatie meisterte und dabei immer seinen eigenen Weg ging. Ob dieser Weg von der Straße in den Vorstandssaal oder wieder zurück in die Aktivistenwelt führt, bleibt abzuwarten. Sicher ist nur: Langweilig wird es mit Joschka nie.