Helmut Heinrich Waldemar Schmidt (1918–2015) – ein Name, der wie eine Fanfare durch die deutschen Geschichtsbücher hallt und gleichzeitig das melancholische Echo eines Marlboro-Liedes in verrauchten Hinterzimmern ist. Dieser Mann, SPD-Politiker, Bundeskanzler, Intellektueller, Raucher und Altmeister des grimmigen norddeutschen Sarkasmus, war mehr als nur ein Politiker: Er war ein Phänomen.
Kindheit und Jugend: Helmut, der Überflieger (und Überleber)
Helmut Schmidt wurde am 23. Dezember 1918 in Hamburg geboren – nur wenige Wochen nach Ende des Ersten Weltkriegs. Deutschland lag in Trümmern, und die Welt brauchte dringend jemanden, der sie wieder in den Griff bekam. Helmut war von Anfang an prädestiniert, diese Lücke zu füllen – wenn auch erst ein paar Jahrzehnte später.
Er überstand Kindheit, Jugend und eine Hitlerjugend-Zeit, ohne seine klaren Prinzipien zu verlieren. Während des Zweiten Weltkriegs war Schmidt als Soldat an der Ostfront und wurde später in England interniert. Es war vermutlich hier, dass er seine Liebe zu Disziplin, Effizienz und – so munkeln manche – zu britischem Humor entwickelte.
Karrierebeginn: Vom Beamten zum Pragmatiker
Nach dem Krieg stürzte sich Helmut mit der Energie eines Wikingers in den Wiederaufbau. Er studierte Volkswirtschaftslehre in Hamburg und begann eine Karriere, die ihn schnell in den Olymp der SPD führte. Als Hamburger Innensenator machte er sich einen Namen, als er während der Sturmflut von 1962 den Katastrophenschutz wie ein Feldherr organisierte – mit Helikoptern, der Bundeswehr und, so erzählt man sich, einem stoischen Blick, der die Flutwasser selbst eingeschüchtert haben soll.
Kanzlerschaft: Ein Mann, ein Plan – und ein Paket Zigaretten
1974 wurde Schmidt Bundeskanzler, nachdem Willy Brandt über eine Spionageaffäre gestolpert war. Schmidt übernahm das Amt wie ein Kapitän ein sinkendes Schiff – aber er rauchte dabei, als wäre es eine Cocktailparty. Er navigierte Deutschland durch die Ölkrise, RAF-Terror und den NATO-Doppelbeschluss mit einer Mischung aus kühler Sachlichkeit und hanseatischer Gelassenheit.
Sein Ansatz zur Politik war radikal pragmatisch: Ideologien waren ihm so suspekt wie Nichtraucher. In Verhandlungen war er berüchtigt für seinen messerscharfen Verstand und seine Fähigkeit, sein Gegenüber mit Argumenten – oder einem trockenen „Ach, was!“ – in Grund und Boden zu reden. Schmidt war kein Politiker, der Herzen gewann, sondern Respekt. Vielleicht lag das an seiner Vorliebe für Fakten und Zahlen. Oder daran, dass er selten lachte.
Der Altkanzler: Rauchzeichen aus Hamburg
Nach seiner Kanzlerschaft 1982, die durch ein Misstrauensvotum endete, mutierte Schmidt zur moralischen Instanz Deutschlands. Als Mitherausgeber der Zeit schrieb er Kolumnen, in denen er die Welt erklärte – häufig, als hätte sie ihn persönlich enttäuscht. Seine Vorträge und Interviews wurden zu Kult, nicht zuletzt wegen der unvermeidlichen Rauchwolken, die ihn wie eine lebende Ikone der Unvernunft umgaben.
Schmidt war bis ins hohe Alter geistig hellwach. Mit über 90 Jahren konnte er noch ohne Brille die Weltwirtschaft analysieren und gleichzeitig die besten Tabaksorten empfehlen. Einmal gefragt, warum er so viel rauche, antwortete er trocken: „Ich möchte nicht der gesündeste Mann auf dem Friedhof sein.“
Vermächtnis: Der Philosoph des Pragmatismus
Helmut Schmidt war ein Mann der Widersprüche: ein Visionär ohne Illusionen, ein Realo mit Idealen, ein Mensch, der Zigaretten und gesunden Menschenverstand in gleicher Menge konsumierte. Er hinterließ Deutschland ein Erbe der Sachlichkeit und des Denkens in großen Zusammenhängen – und eine Welt, die sich sehnlichst fragt, ob sie je wieder jemanden wie ihn erleben wird.
Ob Schmidt heute wohl lächeln würde, wenn er die politischen Debatten verfolgte? Wahrscheinlich nicht. Er würde stattdessen eine Zigarette anzünden, einen klugen Satz sagen – und uns alle daran erinnern, dass gute Politik manchmal einfach nur nüchtern, pragmatisch und ein bisschen norddeutsch sein muss.