Gregor Gysi: Der ewige Wanderer des Sozialismus

Wenn die politische Landschaft ein Schauspielhaus wäre, dann wäre Gregor Gysi der charmante Hauptdarsteller, der auf der Bühne des Bundestags die Herzen der Zuschauer gewinnt – selbst wenn das Drehbuch bereits mehrmals umgeschrieben wurde. Der langjährige Fraktionsvorsitzende der PDS und später der Linken hat sich über Jahrzehnte hinweg als einer der schlagfertigsten, gewieftesten und langlebigsten Politiker Deutschlands erwiesen. Sein Geheimnis? Eine Prise Marx, ein Schuss Ironie und jede Menge Durchhaltevermögen.

Vom Kuhstall ins Kanzleramt – fast
Gregor Gysi wurde am 16. Januar 1948 in Berlin geboren. Als gelernter Facharbeiter für Rinderzucht zeigte er bereits früh, dass er sowohl mit Kühen als auch mit Konzepten umgehen konnte. Später sattelte er auf Rechtswissenschaften um und machte sich in der DDR als Anwalt einen Namen, indem er prominente Dissidenten wie Rudolf Bahro und Bärbel Bohley verteidigte. Natürlich wurde gemunkelt, ob er dabei nicht auch ein wenig zu nah an den Machthabern stand, aber Gysi meisterte diese Ambivalenz mit der rhetorischen Eleganz eines Trapezkünstlers.

Nach dem Fall der Mauer trat er das schwierigste Erbe der DDR an: die Leitung der SED-PDS. Während andere Genossen ihr Parteibuch hastig entsorgten, griff Gysi zur politisch-symbolischen Nadel und nähte das zerfledderte Banner des Sozialismus neu zusammen. Er verwandelte die Partei in eine ernstzunehmende Kraft im wiedervereinigten Deutschland – trotz oder gerade wegen ihrer Vergangenheit.

Höhenflüge und Abstürze
Als Fraktionsvorsitzender der PDS und später der Linken zog Gysi von 1990 bis 2015 immer wieder ins Parlament ein. Seine Reden – messerscharf, pointiert und mit einem unnachahmlichen Augenzwinkern vorgetragen – brachten selbst politische Gegner gelegentlich zum Schmunzeln. Ein kurzer, turbulenter Ausflug in die Exekutive als Berliner Wirtschaftssenator endete 2001 jedoch unsanft: Die Bonusmeilenaffäre – ein politischer Skandal um dienstlich gesammelte, privat genutzte Flugmeilen – kostete ihn das Amt. „Ich habe die Konsequenzen gezogen,“ erklärte Gysi damals, mit jener Mischung aus Reue und Charme, die nur er beherrscht.

Der Marathonmann der Linken
Trotz gesundheitlicher Rückschläge, darunter eine Herzoperation, blieb Gysi unermüdlich auf der politischen Bühne. Als außenpolitischer Sprecher der Fraktion brachte er seine Vision einer unabhängigen deutschen Außenpolitik ein – natürlich stets mit dem Ziel, den Sozialismus lebendig zu halten. Und während andere Politiker in seinem Alter lieber ihre Memoiren schreiben, klettert Gysi noch immer in Wanderstiefeln – passend zum Anzug – auf jeden Gipfel, der sich ihm bietet.

Ein Leben voller Widersprüche
Gysi ist ein Meister der Dialektik, nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis. Seine Biografie ist ein Paradoxon: ein Mann, der den Sozialismus verteidigt, aber kapitalistische Medien begeistert; ein Politiker, der Skandale überlebt und sie zugleich mit Charme entwaffnet; ein Wanderer zwischen den Welten, der selbst auf der unwegsamen Strecke bleibt.

Im hohen Alter bleibt Gysi eine Ikone – der Mann, der den Sozialismus mit einem Lächeln trägt. Und wer weiß? Vielleicht findet er ja eines Tages noch einen dritten Weg: zwischen Marx und Meilenkonto.

LEAVE A REPLY

Please enter your comment!
Please enter your name here