Eines ist sicher: Der Deutsche Bundestag hat sich seit der Wiedervereinigung viele Gedanken gemacht, wie man die Wunden der Teilung heilen könnte. Aber so wirklich geschafft hat man das wohl nie – und jetzt bekommt die Mauer zwischen Ost und West einen ganz neuen, ungeahnten Riss. In einer überraschenden Wendung hat der Bundesgerichtshof (BGH) kürzlich entschieden, dass Mietverträge aus der DDR-Zeit, die seit mehr als drei Jahrzehnten unverändert in den Händen von Wessis und Ossis gleichermaßen gehalten werden, nunmehr eine willkommene Gelegenheit bieten, um mit der „Eigenbedarf“-Karte mal so richtig durchzuziehen. Willkommen im Mietrecht des 21. Jahrhunderts!

Ein Rückblick, der keiner braucht

Einst war es eine ganz einfache Sache. Wer in der DDR eine Wohnung bekam, tat dies nicht unbedingt freiwillig, aber mit der Hoffnung auf ein kleines Stückchen Sicherheit in einer unsicheren Welt. Ein Vertrag, ein Zimmer, ein Dach über dem Kopf – und das Ganze, zum Wohl der sozialistischen Idee, häufig mit subventionierten Preisen. Der „Eigenbedarf“ war damals eher ein Fremdwort, schließlich war alles kollektiv und ein bisschen so wie das Wetter: Für alle und niemandem wirklich zugehörig. Aber die Zeiten ändern sich. Und wo sich Gesetze ändern, ändern sich auch Rechte und Möglichkeiten – zumindest für Vermieter.

Der BGH spricht: Auf in den modernen Kapitalismus!

Der Bundesgerichtshof hat also entschieden, dass Mietverträge, die vor 1990 abgeschlossen wurden und die sogenannte „veraltete“ Mietpreisklauseln enthalten, durchaus einer Kündigung aufgrund von „Eigenbedarf“ unterzogen werden können – auch wenn der Vertrag schon längst nicht mehr zur Sozialismuserfahrung gehört. Die Begründung ist, dass der Eigentümer des Mietobjekts mittlerweile nicht mehr der Staat oder ein volkseigenes Unternehmen ist, sondern ein privater Investor, der auf eine ganz andere Art von sozialistischem Kapitalismus setzt – auf maximalen Profit.

Was das genau bedeutet? Nun, der Mieter muss sich plötzlich mit einem ganz neuen Problem auseinandersetzen: Wurde der Mietvertrag in der DDR abgeschlossen, könnte er demnächst auf der Straße stehen, weil der Eigentümer nun sein Schlafzimmer für sich beansprucht. Und das alles unter der drolligen Idee des „Eigenbedarfs“, der in der Hauptstadt gerne auch mal als „Eigenbedarf des Kapitalismus“ bezeichnet wird. Eigentlich recht nett, dass es nun auch in den alten Plattenbau-Wohnungen noch ein wenig mehr Markt gibt.

Der große Witz des „Eigenbedarfs“ aus DDR-Zeiten

Natürlich weiß jeder, dass der Eigenbedarf-Anspruch kein Schnellzugticket zu besseren Mietverhältnissen ist. Der BGH stellt dabei klar, dass der Eigenbedarf nicht einfach aus „Lust und Laune“ geltend gemacht werden darf – eine recht charmante Formulierung in Zeiten, in denen Millionen von Wohnungssuchenden genauso gut den Glauben an den Kapitalismus als Lösung ihrer Wohnprobleme verloren haben könnten. Es muss schon ein „wirklich berechtigtes Interesse“ vorliegen, das über das Bedürfnis des Eigentümers hinausgeht, seine Kapitalanlage endlich auch richtig auszubeuten.

Vielleicht ein wenig mehr Transparenz und ein wenig weniger Eigenbedarf? Oder sollen wir uns künftig einfach darauf einstellen, dass jede DDR-Wohnung zur goldenen Gelegenheit wird, um sich ein luxuriöses Eigenheim zu schaffen – und das zu den Preisen, die man mit einer handgeschriebenen Mietbescheinigung aus dem Jahr 1985 niemals für möglich gehalten hätte?

Was bedeutet das für die Mieter?

Für die Mieter bleibt die Frage: Wie lange dürfen sie noch in ihren Wohnungen bleiben, in denen sie viele Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnten gewohnt haben? Der BGH lässt es offen, wie viel Zeit sie wirklich haben, um sich aus der DDR-Mietgeschichte zu befreien. Der „Eigenbedarf“ des Vermieters kann die alte Ost-Berlin-Wohnung in ein ungewolltes Kapital über Nacht verwandeln, mit der Aussicht, dass der Mieter irgendwann feststellen muss, dass er jetzt nicht mehr der „ewige Bewohner“ ist, sondern nur noch ein tragisches Relikt der Vergangenheit.

Natürlich gibt es das große „Wenn“, das viele noch im Hinterkopf haben werden: „Wenn ich mich rechtzeitig anmelde, wenn ich das Ganze anfechte, wenn der Vermieter wirklich auf das Recht pocht – vielleicht kann ich ja noch was retten.“ Denn eine Kündigung ist nicht einfach, und eine Verhandlung vor Gericht garantiert noch keinen schnellen und fairen Ausgang – besonders nicht, wenn der Vermieter einflussreiche juristische „Freunde“ in der Tasche hat, die ebenso charmant mit „Eigenbedarf“ jonglieren wie mit der Frage, warum es immer weniger bezahlbaren Wohnraum gibt.

Die große Zukunft der DDR-Wohnungen

Was dieses Urteil also wirklich zeigt, ist, dass der Osten noch längst nicht vorbei ist. Und wenn es nach den Juristen geht, ist der Osten vielleicht sogar noch ein wenig mehr im Westen angekommen als der Westen selbst – zumindest, was den Eigenbedarf betrifft. Wer also dachte, dass mit dem Fall der Mauer die düsteren Tage der Eigentumsverhältnisse aus der DDR-Zeit hinter uns liegen würden, hat sich geirrt. Nein, die DDR lebt – in den Wohnungen, in den Mietverträgen, in den Entscheidungen der BGH-Urteile und vielleicht auch in unserem ganz eigenen Verständnis von „Eigenbedarf“. Und wer weiß – vielleicht ist das der wahre „Reichtum“, den der Osten uns hinterlassen hat: eine nie versiegende Quelle von Rechtsstreitigkeiten, juristischen Grauzonen und dem guten alten Kapitalismus.

Bleibt nur noch zu hoffen, dass diese Erbschaft zumindest eine kleine Mieterhöhung und ein bisschen weniger Eigenbedarf im Sinne von mehr Mieterrechten mit sich bringt – aber das wäre natürlich nur ein ferner Traum.

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